Gestern, am 11.05.2017, ging die aktuelle Tournee "Nathan der Weise" mit dem a.gon Theater München zu Ende.
Ich habe weit über 10.000 gefahrene Kilometer in den Knochen und bin um einige Erfahrungen, Freuden und Schmerzen reicher.
Wir waren seit dem 25.02.2017 unterwegs und haben in dieser Zeit viele wundervolle Theaterabende gemeinsam erlebt. Das Bild links stammt übrigens aus unserem Hotel in Götzis, Vorarlberg, Österreich. Gespielt habe ich im Stück von G.E.Lessing nach der Bearbeitung und Inszenierung von Stefan Zimmermann (a.gon) den jungen Tempelherren.
(Hier meine Gedanken zum Stück und meiner Rolle)
Aber was bedeutet es Monate unterwegs zu sein? Ich möchte hier einen kleinen Einblick in das Leben auf Tournee - das Leben aus dem Koffer - geben. Ich beschreibe im Folgenden einen gewöhnlichen Tagesablauf auf Tournee.
07.57 Uhr
Fanfaren blasen zum Angriff. Es ist mein Wecker der sich zum ersten Mal an diesem Tag meldet. Genauer gesagt klingelt er schon seit zwei Minuten aber erst jetzt hat sich der Ton einen Weg in mein Gehirn gebahnt und weckt mich recht unsanft aus einem schönen Traum. Mit geschlossenen Augen taste ich in die Richtung in der ich das Nachtkästchen vermute. Mein Handy finde ich allerdings nicht. Es scheint noch nicht zu allen Hotels in Deutschland durchgedrungen zu sein, dass viele Menschen ihr Handy als Wecker benutzen. Denn eine Steckdose zum Aufladen des Handys über Nacht findet sich nur selten am Bettrand. So auch an diesem Morgen. Ich schlage meine Augen auf und versuche mich zu orientieren. Wo bin ich? Und nein, das liegt nicht etwa am vergangenen Abend, sondern einfach daran dass dies das X-te Hotel in Folge ist. Langsam steige ich aus dem Bett, erreiche mein Handy, drücke auf "schlummern" und gebe mir noch ein paar Minuten Ruhe.
08.15 Uhr
Jetzt aber wirklich raus aus den Federn und ab unter die Dusche. Ich habe mir angewöhnt meinen Koffer immer gleich nachdem ich mich angezogen und fertiggemacht habe zu packen. So kann ich fast bis zur Abfahrt am Frühstückstisch sitzen bleiben. Apropos Frühstück - mein meist erst gehörter Satz am Morgen ist übrigens: "Guten Morgen! Welche Zimmernummer haben Sie, bitte?". Diese Frage hat mich anfangs regelmäßig aus dem Konzept gebracht. Meist fiel mir nur die Zimmernummer des vorangegangen Hotels ein und ich kramte etwas peinlich berührt in meiner Tasche bis ich den richtigen Schlüssel oder die passende Zimmerkarte gefunden hatte. Das funktionierte aber leider auch nicht immer, denn manche Hotels haben aus Sicherheitsgründen auf ihren Schlüsseln keine dazugehörige Zimmernummer notiert. An sich eine sinnvolle Sache, möchte ich doch nicht - sollte ich einmal einen Schlüssel verlieren - das ein jeder weiß welches Zimmer sich mit seinem Fund öffnen lässt. Mittlerweile nutze ich die täglich wechselnden Zimmernummern als Gehirnjogging. Das ganze steigerte sich zuletzt so, dass ich auch mit den Zimmernummern meiner Kollegen beim Frühstück aushelfen konnte.
10.00 Uhr
Abfahrt. Manche Menschen können beim mitfahren in einem Auto entspannen und sogar Dinge erledigen - Texte für das nächste Engagement lernen oder simpel ein Buch lesen. Ich habe das auf meiner ersten Tournee (Das Boot, Rolle: 1WO, Regie: Johannes Pfeifer) ebenfalls versucht und festgestellt, das klappt bei mir nicht. Ich kann beim Autofahren keine zwei Seiten am Stück lesen, ohne dass mich ein Anflug von Übelkeit überkommt. Daher habe ich mich bereit erklärt einen Wagen zu fahren. Während also meine Kollegen sich entspannen, lesen, Text lernen, Musik hören oder schlafen fahre ich von Autobahn zu Autobahn, Kilometer um Kilometer. Unsere durchschnittlichen Entfernungen liegen meist täglich zwischen 200 und 400 Kilometern. Mittlerweile müsste ich auf jeder größeren deutschen Autobahn gewesen sein und habe dabei viel für "Stadt-Land-Fluss" gelernt. Ein anderer schöner Zeitvertreib, den ich von meinem Vater übernommen habe, ist das Lernen und richtige Zuweisen der jeweiligen Autokennzeichen. Während meiner ersten Tournee ist mir ständig eine bestimmte Speditionsfirma aufgefallen, es verging seither fast kein Tag an dem ich nicht einen ihrer LKWs gesehen habe. Die "Nagel-Group" ist so fast schon zu einem festen Bestandteil meiner Fahrten geworden.
14.00 Uhr
Ankunft im Hotel. Einchecken, Zimmernummer merken und dann gleich wieder raus. Die Stadt erkunden und etwas zum Essen finden. Letzteres gestaltet sich leider in vielen deutschen (Klein-)Städten nach 14 Uhr etwas schwierig. Als Großstadtkind bin ich so etwas irgendwie nicht gewohnt.
15.30 Uhr
Nach einem ausführlichen Rundgang durch die Stadt bin ich zurück im Hotel und lege mich in mein Bett. Manchmal empfängt mich das Bett sofort mit Gemütlichkeit, manchmal meine ich fast das Bett frisst mich auf, so sehr sinke ich ein und manchmal habe ich das Gefühl auf einem Nagelbrett zu liegen. Die Schlafgewohnheiten der Menschen sind sehr interessant - was der eine liebt, ist für den anderen der blanke Horror. So geht es mir bei zu weichen Matratzen. Ich brauche eine Stütze, etwas das mir Halt gibt beim Schlaf und doch etwas das sich mir wenigstens ein bisschen anpasst. In diesem Punkt kann kein Hotel es immer allen Gästen recht machen, ich freue mich also immer wenn ich ein Bett vorfinde, in dem ich gemütlich liegen kann und stelle mir meinen Wecker für den Weg zum Theater. Rechts befinden sich Impressionen aus - ich schreibe das mit etwas Abstand zur Aufnahme der Fotos und muss wirklich kurz nachdenken wo das war - Fellbach! Fellbach bei Stuttgart im Mai 2017.
17.45 Uhr
Knapp 10 Stunden sind seit meinem Aufstehen heute schon vergangen, mehrere hundert Kilometer liegen zwischen meinem Morgen und dem Jetzt. Und wieder stehe ich auf, mache mich fertig und begebe mich auf den Weg ins Theater. Leider lässt sich aus organisatorischen Gründen das Theater nicht immer zu Fuß erreichen, sodass wir manchmal das Auto noch ein weiteres Mal bewegen müssen. Angenehmer ist es allerdings zu Fuß zum Theater laufen zu können.
18.15 Uhr
Ankunft im Theater. Ich bin gerne früh im Theater. Vertraglich bindend ist wenigstens eine Stunde vor Vorstellungsbeginn im Theater zu sein, das wäre für mich zu knapp. Ich komme gerne an, trinke noch einen Kaffee, erkunde die Bühne und allgemein die örtlichen Gegebenheiten bevor ich mich aufwärme und mein Kostüm anziehe. Das ist wie ein Ritual für mich. Stimmübungen folgen auf körperliche Entspannungsübungen und bereiten mich auf den Abend vor.
19.10 Uhr
Maskenzeit. Fertig mit meinen Übungen und im Kostüm gehe ich zu Belinda, unserer grandiosen Maskenbildnerin. Auf dem Foto links sieht man meinen "Schweiß" (der junge Tempelherr, in Deutschland aufgewachsen kommt mit der Hitze des Orients nur bedingt klar). Dieser Schweiß besteht aus Glycerin - der, wenn er doch mal auf die Lippen kommt, etwas süßlich schmeckt und furchtbar in den Augenbrauen kitzelt.
20.00 Uhr
Vorhang auf! Es ist jedesmal ein berauschendes Glücksgefühl auf die Bühne zu gehen und meiner Figur Leben einzuhauchen, mit meinen Kollegen zu spielen und jeden Abend aufs Neue die dramatische Geschichte neu zu erleben und zu erzählen. Das ist es was ich liebe, das ist es was meinen Beruf zu meiner Leidenschaft werden lässt. Ich muss dabei oft an Textzeilen aus Jackson Brownes "The Load Out" denken. Dort heißt es:
"We do so many shows in a row
And these towns all look the same
We just pass the time in our hotel rooms
And wander 'round backstage
Till those lights come up and we hear that crowd
And we remember why we came"
und
"But the only time that seems too short
Is the time that we get to play"
Jackson Browne/The Load Out
22.45 Uhr
Der letzte Applaus ist verklungen, das Bühnenbild wird abgebaut und verladen - ich ziehe mich um und schminke mich ab. Dann lassen wir den Abend gemeinsam ausklingen, bevor wir am nächsten Morgen wieder weiterziehen.
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Ursula Killermann (Dienstag, 16 Mai 2017 19:53)
Hallo Alexander, du hast deinen Bericht, obwohl er eine Reisebericht ist, sehr lebendig geschrieben. Dein Papa wäre stolz auf dich. Deine Mutter und deine Oma sind es bestimmt auch